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  leseprobe »mords-sachsen 3«

Robin Hood aus Scharfenstein
Claudia Puhlfürst

... »Wir haben vorgestern ein Paket mit Büchern in die Kita bekommen.« Susann Vogel schob bedächtig die Klöppel untereinander durch. Neben ihr nickte Klara, die Enkelin von Ilse Selbmann, bestätigend.
»Ein Paket? Das ist ja toll!« Draußen marschierte jetzt der Stülpner Karl vorbei. Nicht der echte, natürlich. Es war Klaras Opa, Gerd Selbmann, verkleidet als Rebell des Erzgebirges. In seiner grünen Tracht, ein paar Fuchsfelle am Gürtel, mit seinem mit Fasanenfedern geschmückten Hütchen und den bis zu den Knien reichenden Stiefeln sah er aus wie eine Mischung aus gealtertem Errol Flynn und faltengesichtigem Robin Hood. Der solchermaßen Gewandete führte regelmäßig Touristengruppen durch die Burg, erzählte dabei Abenteuer aus ›seinem‹ Leben, Geschichten aus Scharfenstein und dem Leben der Häusler, Bauern und Waldleute im Zschopautal. Und manchmal schoss er im Hof zur Belustigung der Gäste einen Begrüßungssalut aus seiner Büchse.
»Von wem war denn das Paket?« Luise Meier wickelte Garn auf die Klöppel und dachte darüber nach, wie viele Busse heute noch zu erwarten waren.
»Frau Fischer hat gesagt: ›Das hat uns der Stülpner Karl geschickt!‹« Klara verfolgte mit weit aufgerissenen Augen ihren vorbeiparadierenden Opa.
»Der Stülpner Karl?« Waltraud Vogel runzelte die Stirn.
»Ja! Wenn wir es euch doch sagen!« Klara schloss den Mund mit einem Schnappen. Susann tat es ihr nach.
»Der Stülpner Karl, ts ts.« Luise Meier zischte missbilligend.
»Es stand aber auf dem Brief, den er mitgeschickt hat!«
»Das war bestimmt irgend so ein Spaßvogel. Vielleicht der gleiche, der Uroma Irmgard den kleinen Rollstuhl vor die Tür gestellt hat.«
Uroma Irmgard war weder Luises noch Waltrauds noch Susanns und auch nicht Klaras Verwandte. Weil sie aber schon über 90 war, wurde sie in ganz Scharfenstein nur ›Uroma Irmgard‹ genannt. Die alte Frau lebte ganz allein in ihrem winzigen Häuschen an der Schachthöhe. Die Krankenkasse hatte ihr die Bereitstellung eines Rollstuhles verweigert und der unbekannte Gönner, der sich in seinen Briefen Karl Stülpner d.J. nannte, hatte sich der Sache angenommen.
»Schon wieder dieser Stülpner-Karl-Nachfolger. Das nimmt Ausmaße an …« Waltraud sah den Touristen nach, die die Schauwerkstatt verließen. »Also ich finde das alles ziemlich pfiffig, genau wie das, was dieser Kaufhauserpresser damals gemacht hat – Donald Duck?«
»… Dagobert hieß der. Und lustig war das ganz und gar nicht. Egal, was die Leute denken, es war ein Verbrechen.« Luise ließ den Blick zu den beiden Mädchen wandern. Klara und Susann hörten aufmerksam zu.
»Ach komm, der hat die Polizei doch herrlich vorgeführt.«
»Ja, aber Erpressung bleibt Erpressung.«
»Wenn du meinst. Aber das, was dieser Karl Stülpner d.J. da anstellt, ist doch harmlos.« Waltrauds Klöppel klapperten bestätigend zu ihren Worten.
»Du vergisst den Einbruch beim Gerätebau Drebach vorletzte Woche.«
»Da hast du auch wieder recht. Das war wirklich kein Kavaliersdelikt mehr. Nein, das darf man nicht verharmlosen.« Jetzt schauten beide Großmütter zu ihren Enkelinnen und prüften, ob die Kinder das Gespräch über Recht und Unrecht aufmerksam verfolgten.

 
 
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