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  leseprobe »mords-sachsen«

»Übrigens fahren wir hier eine historische Straße entlang – die Silberstraße. Sie wird auch ›Europas größtes Freilichtmuseum‹ genannt.«
»Silberstraße, aha.«
»Wusstest du, dass Sachsen einst als reichstes Land im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation galt?«
»Sachsen?« Bianca staunte nicht wirklich, aber sie bemühte sich. Er konnte das an ihrer Stimme hören. Sie wollte nett sein. Bernd setzte seinen Beinahe-Monolog fort.
»Der Grund dafür waren die reichen Silbererzlagerstätten im Erzgebirge. 1491 entdeckte ein Mann namens Kaspar Nietzelt das Edelmetall am Schreckenberg. Daraufhin kam es zu dem berühmten ›Großen Berggeschrey‹.«

»Großes Berggeschrei, hm.« Bianca hörte endlich auf, mit den Zigaretten herumzuspielen und legte die Schachtel in ihren Schoß.
»Das kannst du dir so ähnlich vorstellen wie Klondike.«
»Klonndeig?«
»Klondike. Ein Fluss zwischen Alaska und Kanada. Um 1900 wurde dort Gold gefunden und das löste den größten Goldrausch in der Geschichte Amerikas aus.« Bernd erzählte das alles für sich. Sie hörte ja doch nicht zu. Außerdem war es jetzt sowieso zu spät, auch wenn ihr Interesse an historischen Fakten wie durch ein Wunder plötzlich erwachen würde. Es war vorbei, nur, dass sie das noch nicht wusste. Er drehte den Kopf nach rechts und lächelte seiner Frau zärtlich zu.
»Na sowas. Gold und Silber.« Sie lächelte zurück. »Ich würde gern erst einen Kaffee trinken, ehe wir dieses Bergwerk besichtigen.« ›Dieses Bergwerk‹ sprach sie ein bisschen verächtlich aus.
»Das können wir machen.« Es war noch genügend Zeit. Die letzte Führung des jeweiligen Tages begann um sechzehn Uhr. Er hatte sich informiert. Und es musste die letzte Führung sein.
Im Schritttempo rollte das Auto über die buckligen Pflastersteine nach unten zum Markt. Bernd war schon mehrmals in Annaberg gewesen. In Vorbereitung ihres Ausflugs hatte er die ehrwürdige Stadt erst vor zwei Wochen besucht. Die Annenkirche würden sie nachher wahrscheinlich vom Plan streichen müssen. Eine historische Sehenswürdigkeit reichte bei Bianca für Monate. Und außerdem hatte sie ja heute schon die Miniwelt besichtigt, obwohl man dabei nicht wirklich von Kultur sprechen konnte.
»Wie du aussiehst!« Bianca stieß ihr girrendes Kichern aus und zeigte auf den gelben Helm und den müllsackähnlichen blauen Umhang.
Du siehst genauso bescheuert aus, meine Liebe. Bernd lächelte dem Führer entschuldigend zu und nahm Biancas Unterarm, um sie die Treppe hinunter zu geleiten.
»Die Rundgangstrecke, die wir gleich begehen werden, wurde in den Jahren 1992 bis 1995 ausgebaut.« Der Führer stand auf einem Treppenabsatz weiter unten und schaute zu den Besuchern auf, während er ihnen erklärte, dass die Entdeckung des Bergwerks einer Sensation gleichgekommen war. Bei Probebohrungen im Hof des Erzgebirgsmuseums Anfang der Neunziger sei man auf unberührten Silberbergbau des 16. Jahrhunderts gestoßen – mitten im Herzen von Annaberg. Man habe Gänge, Schächte und Stollen gefunden, die unter der gesamten Altstadt verliefen. Die Erklärungen klangen drollig, weil der Mann versuchte, Hochdeutsch zu sprechen, seine erzgebirgische Mundart dabei jedoch nicht unterdrücken konnte.
»Und nun folgen Sie mir bitte!« Er schwenkte seinen Arm im Halbkreis und ging voran. Bernd betrachtete Biancas Schuhe, während sie vor ihm hertrippelte. Die spitzen Absätze waren sicher nicht das Richtige für den steinigen, unebenen Boden. Man konnte stürzen und sich böse den Kopf anschlagen. Den schützenden Helm hatte sie auch nur lose aufgesetzt, weil der Plastikrand angeblich an ihrer Stirn drückte.
»Hier wird sogar noch die jahrhundertealte Form der Entsorgung praktiziert.«
Bernd unterdrückte bei dem Wort ›Entsorgung‹ ein Kichern. Wenn das nicht das passende Wort für sein Vorhaben war! Einige eifrige Zuhörer hatten sich dicht um den Führer gedrängt, während dieser mit seiner Lampe in einen steil nach oben führenden Schacht leuchtete. Silbrig blitzen kleine Kristallsplitter im Granit auf. »Die Abwässer historischer Häuser werden einfach in die Gänge des Bergwerks eingeleitet und versickern im Gebirge.« Bernd konnte hören, wie Bianca die Luft einsog. Wahrscheinlich verkniff sie sich gerade noch einen angeekelten Ausruf.
»Hier unten existieren auch zahlreiche nicht ausgebaute Stollen und Blindschächte. Und nun gehen wir etwas weiter, damit ich Ihnen die Haspelstube erklären kann.«

Als Bernd die gleichen Erläuterungen bei der ersten Führung gehört hatte, wusste er, was zu tun war. Nicht ausgebaute Stollen, Blindschächte, herabfallende Steine. Perfekt. Wenn er Glück hatte, würden sie Biancas Leiche wochenlang nicht finden.
Scheidungen kosteten heutzutage ein Vermögen und Bernd hatte trotz Biancas Verschwendungssucht noch reichlich Kapital, auf das sie womöglich Anspruch erheben würde. Er berichtigte sich: hundertprozentig Anspruch erheben würde. Und er konnte sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, ihr nach der Scheidung eine Abfindung zu zahlen, oder – noch schlimmer – sein restliches Leben lang für zwei Monate Verliebtheit und anderthalb Jahre Nervenkrieg finanziell büßen zu müssen.

 
 
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