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  leseprobe »dem leben entrissen – aktuelle authentische kriminalfälle«

17. Mai 2005

Ayla S. ist sechs Jahre alt. Ihr siebter Geburtstag steht kurz bevor. Auf dem später überall veröffentlichten Foto – es wurde zu ihrem Schulanfang gemacht –, hält sie eine Fibel in den Händen. Sie trägt ein Jeansröckchen und ein Shirt mit rosa Ärmeln und schaut schelmisch in die Kamera. Es wirkt, als sei sie stolz darauf, nunmehr ein Schulkind zu sein. Ihr Gesichtsausdruck ist fröhlich, ein bisschen übermütig. Unverfälscht. Ein vergnügtes Kind.

Der Morgen des 17. Mais 2005 verläuft wie immer. Ayla frühstückt mit ihrer Mutter und macht sich dann für die Schule fertig. Gegen 7:45 Uhr verlässt sie das Wohnhaus in der Nähe des Nordplatzes in Zwickau. Sie trägt eine gelbe Jacke. Aylas Schule ist nur wenige Meter entfernt – fast in Sichtweite, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Mutter schaut noch kurz aus dem Küchenfenster. Dann kümmert sie sich um das Baby, Aylas Schwester, sieben Monate alt. Sie nimmt das Baby mit ins Wohnzimmer. Dort blickt sie noch einmal prüfend aus dem Fenster, kann Ayla jedoch nicht entdecken. Stattdessen sieht sie, wie ein fremdes Auto relativ schnell aus ihrer Hofeinfahrt fährt. Später erinnert sie sich, auch Kinderschreie gehört zu haben, die sie jedoch in diesem Moment nicht mit ihrer Tochter in Verbindung bringt.
Seit der Geburt der Schwester im Oktober 2004 darf Ayla allein zur Schule gehen – der Weg ist schließlich nicht weit und Ayla stolz darauf, dass man ihr dies zutraut. Nicht einmal eine Stunde später bemerkt Aylas Mutter, dass ihre Tochter die Turnschuhe daheim vergessen hat. Sie beschließt, ihr diese in die Schule zu bringen und macht sich auf den Weg.

An der Haltestelle Nordplatz auf der Leipziger Straße wartet ein sechzehn Jahre altes Mädchen auf die Straßenbahn, die um 7:50 Uhr kommt. Plötzlich hört sie ein Kind schreien. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kann man durch eine Baulücke zwischen den Häusern in einen Hof sehen. Die Schülerin beobachtet, wie ein Mann versucht, ein kleines Mädchen in sein Auto zu befördern. Der Wagen steht in Fahrtrichtung in der Hofeinfahrt, die Kofferraumklappe ist geöffnet.
Anfangs hält die Schülerin die Szene für eine Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter. Sie kennt die Situation aus eigenem Erleben – der Autoschlüssel liegt im verschlossenen Wagen und das Kind soll durch die geöffnete Kofferraumklappe nach vorn krabbeln und die Tür öffnen.
Als jedoch der vermeintliche Vater versucht, hastig die Klappe zu schließen, obwohl die Beine des Mädchens noch herausragen, begreift die Schülerin, dass an der Erklärung mit dem verschlossenen Auto und dem Schlüssel etwas nicht stimmen kann, weil der Mann das Kind nun eilig heraushebt, anders wieder hineinlegt und die Klappe schließt. Das Auto mit dem Kind im Kofferraum – die Schülerin erkennt lediglich, dass es ein Modell mit Stufenheck ist – fährt nun rasch los und verschwindet aus dem Sichtfeld der Schülerin.
Nur eine Minute später biegt der Wagen eine Straßenecke weiter vorn aus der Freiligrathstraße wieder auf die Leipziger Straße ab und fährt nun direkt an der Straßenbahnhaltestelle vorbei stadtauswärts. In diesem Augenblick kommt die Straßenbahn und die Schülerin steigt ein. In ihrer Schule angekommen, berichtet sie noch am Vormittag der Vertrauenslehrerin von dem Vorfall. Diese informiert die Polizei.

Ein Mann, der am Nordplatz wohnt, sieht am Morgen des 17. Mais zufällig aus dem Fenster auf die Leipziger Straße hinaus. Kinderschreie lassen ihn aufhorchen und er mustert die einsehbare Umgebung. Dabei fällt ihm das Auto mit der geöffneten Kofferraumklappe in dem Hof gegenüber auf. Die Entführung selbst beobachtet er nicht; sieht nur, wie der Fahrer „etwas Gelbes“ einlädt. Erst als das Auto eine Runde ums Karree dreht, um dann stadtauswärts auf der Leipziger Straße davonzufahren, wundert sich der Mann. Warum ist der Fahrer von der Hofeinfahrt aus nicht gleich auf die benachbarte Leipziger Straße abgebogen? Er merkte sich den Autotyp – es ist ein Fiat Tempra – die Farbe und Teile des Kennzeichens.

Inzwischen macht Aylas Mutter sich auf den Weg, ihrer Tochter die Turnschuhe zu bringen. Sie sieht, dass es regnet und nimmt auch gleich noch das Regencape mit. In der Hofeinfahrt, direkt vor der Haustür, findet sie eine Sandalette von Ayla und hebt sie auf. Wundert sich. Wie kann das Kind bei Regen mit nur einem Schuh in die Schule gegangen sein? Sie beginnt zu laufen.
In der Schule stellt sich heraus, dass Ayla dort nie angekommen ist. Sie ruft den Notruf an.

 
 
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